29.09.2019 Dekan Hacker: Flurgottesdienst

Alle eure Sorge werft auf ihn; denn Er sorgt für euch. (1. Petr 5, 7)


Liebe Gemeinde,

„Guten Morgen, liebe Sorgen. Seid ihr auch schon alle da –
Habt ihr auch so gut geschlafen? Na dann ist ja alles klar!“, sang einst Jürgen von der Lippe.

Was machen wir so mit unseren Sorgen?
„Sorgen“, das ist ja ein Thema, da könnte wahrscheinlich jeder von uns etwas dazu sagen. Die einen mehr, die andern weniger.

Ich weiß nicht, was wir so gedacht haben, als wir vorhin die Lesung des Evangeliums gehört haben. Sorgt euch nicht, sagt Jesus da immer wieder. Und es klingt ja auch gut, mit den Vögeln und Lilien und so - irgendwie beschwingt und frei.

Aber im wirklichen Leben?

Auch in der Epistel, unserem heutigen Predigtwort aus dem ersten Brief des Petrus, steht mitten drin ein Satz zum Thema Sorgen: Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er, Gott, sorgt für euch!

Fangen wir mit einer einfachen, ja banalen Feststellung an: Jesus und Petrus – und mit ihnen die ganze Bibel – gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass wir als Menschen Sorgen haben. Das wird vorausgesetzt.

Die Sorge gehört also zum menschlichen Dasein wie die Wärme zum Sommer und wie die Blätter zum Baum. Und genauso erleben wir das ja auch selber im Alltag: Menschen haben Sorgen.

Bei der Einen ist es die Arbeit: dass sie nicht weiß, wie sie alles schaffen soll.
Bei dem Andern ist es die Gesundheit: dass er nicht weiß, wie alles werden soll.
Oder das Geld reicht hinten nicht und vorne nicht.
Oder es kriselt in der Partnerschaft, es gibt Ärger in der Familie.
Oder in diesem Sommer, bereits zum zweiten Mal hintereinander: Regnet es genug für eine gute Ernte?
Oder – wie war das damals, als Flurbereinigung und Dorferneuerung durchgeführt werden sollten? Ich bin mir ganz sicher, dass sich da viele Menschen Sorgen gemacht haben, wie das werden soll.

Und weil das bei uns Menschen so ist, nehmen Jesus und Petrus dazu Stellung. Weil sie uns mit unseren Sorgen ernst nehmen, sagen sie nicht einfach: Ihr dürft keine Sorgen haben. Sondern sie sagen: Weil ihr Sorgen habt, geht es darum, wie ihr sie loswerden könnt.

Übrigens, um ein Missverständnis von Anfang an zu vermeiden: Sorgen loswerden heißt natürlich nicht, dass wir uns ab sofort um gar nichts mehr kümmern sollen. Auch den Vögeln, von denen Jesus spricht, fliegt das Futter ja nicht einfach in den Schnabel. Auch sie fliegen den ganzen Tag herum, um Futter für sich und ihre Jungen zu besorgen. Es geht nicht darum, notwendige Vorsorge und Fürsorge abzulehnen. Wer im kommenden Jahr ernten will, muss bereits in diesem Jahr dafür Vorsorge treffen. Wer ernten will, muss säen und pflanzen, jäten und düngen.

Auch Jesus und die ersten Christen haben nicht einfach ins Blaue hineingelebt, sondern sich viele Gedanken über die Zukunft gemacht. Und wir können, wenn wir verantwortlich handeln wollen, nicht darauf verzichten, für die Zukunft zu planen und vorzusorgen – als Christen schon gar nicht.

Also, liebe Mitchristen, was machen wir so mit unseren Sorgen?

Es gibt ja verschiedene Strategien, wie man mit Sorgen umgehen kann. Nicht die schlechtesten kann man in manchen Lebenshilfe-Ratgebern nachlesen. Da gibt es sogar Bestseller mit Titeln wie „Sorge dich nicht, lebe!“ In solchen Büchern wird zum Beispiel empfohlen, sich klar zu machen, dass die meisten Sorgen sinnlos sind. Weil das Meiste, worum man sich Sorgen macht, gar nicht eintreffe. Und weil es in den restlichen Fällen auch nichts helfe, sich schon vorher das Leben zu vermiesen.

An unseren Verstand wendet sich interessanterweise auch Jesus zunächst, wenn er fragt:
Wer von euch kann durch Sorgen sein Leben auch nur um einen Tag verlängern? (Mt. 6,27)

Die Antwort ist einfach: Niemand. Sorgen sind nutzlos. Sorgen bringen nichts. Auch wenn du dich dein ganzes Leben darum absorgen würdest, du würdest keine einzige Sekunde länger leben. Eher im Gegenteil. Du bekämst wahrscheinlich Sorgenfalten im Gesicht. Oder Gallensteine.

Kurz und gut: Etwas Positives erreichen wir mit Sorgen kaum. Mit Sorgen wird nichts gebessert, sondern nur verschlechtert.

Und was machen wir mit nutzlosen Dingen, die man nicht braucht, die sogar schädlich sind? Wegwerfen natürlich. Ent-sorgen!

Nun zeigt aber die Erfahrung: Wir können das mit dem Verstand tausendmal einsehen. Unsere Sorgen sind wir aber deswegen noch lange nicht los. Denn die Sorge sitzt nicht im Kopf. Die Sorge sitzt tiefer, sie steckt im Herzen. In einem Bereich und in einer Tiefe, wo logische Argumente wenig ausrichten.

Genau in diese Tiefe hinein spricht Petrus:
Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er, Gott, sorgt für euch!

Hier wird deutlich: Das Wegwerfen der Sorgen, die Erlösung von unseren Sorgen ist eine Sache des Vertrauens. Das Gegenteil von Sorge ist nicht Optimismus, sondern Vertrauen. Vertrauen darauf, Glaube, dass da einer ist, der für uns sorgt. Einer, der weiß, was wir brauchen. Und der uns gibt, was wir brauchen.

Der erste Schritt auf dem Weg zu solchem Gottvertrauen ist, dass wir unsere Sorgen überhaupt erst mal mit Gott in Verbindung bringen.

Das bedeutet auch: Mit Gott im Gespräch bleiben. Mit Gott reden, IHM die Sorgen tatsächlich anvertrauen. Wie wollen wir denn unsere Sorgen auf Gott werfen, wie wollen wir SEINE Für-Sorge für uns erleben, wenn zwischen Gott und uns Funkstille herrscht?

Das geht ja schon unter Menschen nicht: Wie will ich einem Menschen vertrauen, ihm meine Sorgen anvertrauen und dann seine Hilfe und Fürsorge erfahren, wenn ich nicht mit ihm spreche?

Also: Wer erleben will, wie man Sorgen auf Gott wirft, um dann auch SEINE Für-Sorge zu erfahren, der muss schon mit Gott reden. Der muss beten.

Paul Gerhardt dichtet in seinem bekannten Lied Befiehldu deine Wege:
„Mit Sorgen und mit Grämen und mit
selbsteigner Pein
lässt Gott sich gar nichts nehmen, es
muss erbeten sein.“ (EG 361,2)

Nicht, dass sie einfach weg sind. Aber sie sind nicht mehr allein meine Sache. Es ist wunderbar zu erleben: Es gibt eine Stelle, einen Ort, es gibt jemand, der ist für mich: Gott.

Tapfer runterschlucken und verdrängen hilft doch nicht. Es macht krank. Wegwerfen sollen wir, wegwerfen können wir im Glauben, was uns auf der Seele liegt: Mach aus deinen Sorgen ein Gebet!

Natürlich ist das ein Prozess. Ein Lernprozess. Manchmal spürt man dabei zwei Sachen gleichzeitig: Die Sehnsucht, so zu leben, in dieser atemberaubenden Freiheit – und dann denkt man wieder: Alle eure Sorge werft auf ihn??  Der hat leicht reden, in meiner Situation geht das doch gar nicht!

Vielleicht hilft es dann zu wissen, dass der 1. Petrusbrief in einer ausgesprochen schwierigen Situation geschrieben wurde. Die Menschen, die diesen Brief bekamen, wurden wegen ihres Christseins ausgegrenzt und sogar verfolgt. Wie bedrohlich die Lage war, davon spricht der Verfasser mit drastischen Worten:

Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe undsucht, wen er verschlinge.

Hier spricht kein wirklichkeitsfremder Träumer, sondern einer, der aus eigenem Erleben weiß, was Sorgen sind.

Natürlich, es gibt Tage, da sind die Sorgen so übermächtig, da ist dieses Vertrauen auf Gott, auf Jesus Christus, nicht da. Da ist es wie weggeblasen. Und doch wird mein Vertrauen, mein Glaube in dem Maß wachsen, wie ich erlebe, dass Gott tatsächlich und trotz aller Sorgen für mich sorgt.

Hilfe von außerhalb und jenseits meiner Sorgen. Von Gott, unserem Vater, der ganz andere Möglichkeiten hat als wir Menschen.

Ohne solches Vertrauen wird uns sonst nur das Überspielen bleiben, das Verdrängen oder das Runterspülen der Sorge nach dem Motto: „Es ist ein Brauch von alters her, wer Sorgen hat, hat auch Likör.“

Was machen wir als Christen mit unseren Sorgen? Wir üben. Wir üben das Werfen. Wir üben das Vertrauen. Wir üben das Beten. Martin Luther fordert uns auf:
„Ach! Wer das Werfen wohl lernen könnte, der würde erfahren, dass es gewiss so sei.
Wer aber nicht lernet solch werfen, der muss bleiben ein verworfener, zerworfener, unterworfener, ausgeworfener, abgeworfener und umgeworfener Mensch!“

So lasst uns das rechte Werfen im Glauben üben!

Liebe Mitchristen,
heute ist der 29. September, der Michaelistag.

An diesem Tag wurde früher das Erntedankfest gefeiert. Nicht nur unsere Sorgen sollen wir auf Gott werfen und zu IHM bringen, sondern auch unseren Dank. Das vergessen wir oft. Im Sorgen-Werfen sind wir wahrscheinlich Weltmeister, im Danken belegen wir einen der letzten Plätze.

Der heutige Flurgottesdienst, ein schöne Tradition, erinnert uns daran: „Vergiss nicht zu danken dem ewigenHerrn, er hat dir viel Gutes getan ….“ (EG 602,1)

„Nun, wie sagt man?“ Wer hat diesen Satz aus Kinderzeiten nicht noch im Ohr. Hatte der Besuch die Schokolade gerade überreicht, hörte man schon Mutter oder Vater mahnen: „Was sagt man?“

Ob es eine Erziehung zur Dankbarkeit gibt, weiß ich nicht. Allerdings ist deutlich, dass wir das Danken erst lernen müssen, es ist nicht angeboren.

Wir staunen spontan über das Wunder des Lebens und die Schöpfung Gottes. Vielleicht empfinden wir sogar ein tiefes Glücksgefühl. Eine Form bekommt dieses Gefühl allerdings erst mit der Sprache und den vielfältigen Gesten des Dankes. In unserer jüdisch-christlichen Tradition ist diese Gebärde tief verankert und hat immer eine Adresse: Gott. Alle Dankbarkeit hat ihren Ursprung darin, dass Gott uns geschaffen hat, samt aller Kreatur.

Wer Gott dankt, der denkt nicht nur darüber nach, dass uns alles Lebensnotwendige nicht selbstverständlich zu Verfügung steht. Wer Gott dankt, der weiß auch um ein gutes Mittel gegen Bitterkeit und Jammern. Denn „der Dank ist eine Gewalt, vor der alle finsteren Mächte weichen“. Dieser Satz stammt von Hermann Bezzel, dem früheren bischöflichen Oberhirten unserer bayerischen Landeskirche.

Dazu las ich folgende Geschichte: Ein Arzt besucht seine Patienten im Altenheim. Ihm fällt ein 96-jähriger Mann auf, der stets zufrieden und freundlich ist. Eines Tages spricht ihn der Arzt darauf an und fragt nach dem Geheimnis seiner Freude. Lachend antwortet der Mann: „Herr Doktor, ich nehme jeden Tag zwei Pillen ein, die helfen mir!“
Verwundert schaut ihn der Arzt an und fragt: „Zwei Pillen nehmen Sie täglich? Die habe ich Ihnen doch gar nicht verordnet!“
Verschmitzt lacht der Mann und antwortet: „Das können Sie auch gar nicht, Herr Doktor. Am Morgen nehme ich gleich nach dem Aufstehen die Pille Zufriedenheit. Und am Abend, bevor ich einschlafe, nehme ich die Pille Dankbarkeit. Diese beiden Arzneien haben ihre Wirkung noch nie verfehlt.“
„Das will ich gerne glauben“, meint der Arzt. „Ihr gutes Rezept werde ich gerne weiterempfehlen.“
(zitiert nach: Überlebensgeschichten für jeden Tag, 4. Januar)

Erntedank heißt: Ich besinne mich darauf, dass all die Mittel, die ich zum Leben brauche (und das sind „Lebensmittel“ im wahrsten Sinne des Wortes!), ich mir nicht selbst schaffen kann, sondern meinem Schöpfer und Gott zu verdanken habe.

Unser tägliches Brot gib uns heute. Was ist das? 
Gott gibt das tägliche Brot auch ohne unsere Bitte allen bösen Menschen; aber wir bitten in diesem Gebet, dass er`s uns erkennen lasse und wir mit Danksagung empfangen unser tägliches Brot.
Was heißt denn tägliches Brot? 
Alles, was not tut für Leib und Leben, wie Essen und Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme und treue Oberherren, gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen. 
(Martin Luther, Kleiner Katechismus, Das dritte Hauptstück, Die vierte Bitte, Gesangbuch Seite 1559)

Von daher geht Erntedank nicht nur die Landwirte und Hobbygärtner etwas an, sondern uns alle, die wir in einem Land leben dürfen, das überreich gesegnet ist mit allem, was wir zum Leben wirklich brauchen.

Dass wir immer genügend von den Pillen Zufriedenheit und Dankbarkeit zu Hause haben, wünsche ich uns allen.

Amen.